Die Hamsterei mit
Vater Die ersten Jahre nach dem Krieg
waren sehr hart. Es fehlte an allem. Die
Kriegsschäden an den Häusern mussten
repariert werden, dabei fehlten die
benötigten Baumaterialien. Man half sich
gegenseitig aus. Es wurde richtig Hunger
gelitten, und besonders Kinder bekamen
nicht selten Schwächeanfälle. Die
Reichsmark hatte nur noch Papierwert. Da
konnte man mit Wein, von dem man zumeist
noch Restbestände hatte, schon mehr
unternehmen. So erwarb man für eine
Flasche Wein in der Regel drei Heringe.
Heringe kamen von Norden, aus der
britischen Besatzungszone. Sie waren in
Salz eingelegt, somit gut konserviert und
nicht zuletzt auch sehr nahrhaft. Hatte
man Heringe, konnte man diese auch wieder
gegen Dachpappe eintauschen. Hatte man
davon etwas übrig, erhielt man dafür
evtl. einige Bimssteine u.s.w. u.s.w.. So
gab es denn die sogenannte
Heringswährung und den sogenannten
Heringswein.
Wir saßen immer mit neun Personen am
Tisch. Einmal in der Woche, und zwar
freitags, gab es als Abendessen für alle
zusammen drei Heringe und Pellkartoffel
mit einer Zwiebelsoße. Ich bekam immer
das Endstück vom Hering, weil ich ja der
Jüngste und Kleinste in der Familie war.
Als ich einmal reklamierte, dass sich die
Eltern stets das Mittelstück zuteilten,
musste ich auf der Stelle den Abendtisch
verlassen und hungrig ins Bett gehen.
Was in der Moselgegend fehlte, waren
insbesonders fetthaltige und
kaloriereiche Nahrungsmittel. So mussten
die Moselaner in der Regel Wein und
Schnaps in den Rucksack packen, zu den
Bauern in der Eifel und Hunsrück
hingehen, und den Tausch gegen Butter,
Speck und Schinken anbieten. Dies war
dann die Hamsterei ohne die es
kein Überleben gab.
Aus einem alten Bestand unseres
Gemischtwarenladens hatten wir noch einen
recht üppigen Bestand von Backpulver und
Rollen von Gummiband. Damit ging mein
Vater in der nahen Eifel hamstern
hatte natürlich nebenbei auch noch Wein
und Schnaps im Rucksack. Ich hatte
aufgrund der Wirren noch keinen
Schulunterricht. So nahm mich Vater oft
zur Hamsterei mit. Dies brachte, wie es
sich noch zeigen wird, zum Unterfangen
echte Vorteile.
Wir hatte ein Fahrrad über den Krieg
hinaus gerettet. Solche mussten abgegeben
werden, als die deutschen Soldaten vor
Alliierten flüchteten. Auf unserer
üblichen Tour ging es den Bremmer Berg
hoch. Dann musste Vater das Fahrrad
schieben, und ich tippelte hinterher.
Oben angekommen, setzte Vater mich auf
die vordere Querstange des Fahrrades, die
er mit einem Sack umwickelt hatte. So
fuhren wir durch die Ortschaften
vorwiegend war es Beuren, Kliding und
Urschmitt.
In den Dörfern klopften wir an den
Türen der Bauernhöfe und boten unsere
Tauschobjekte an. Ich war damals sehr
schmal und blass, hatte etwas abstehende
Ohren und sollte, laut Vater, immer einen
traurigen und hungrigen Eindruck machen.
Dies hatte auch nicht selten die
gewünschte Wirkung. Man nahm uns rech
oft mit in die Stube. Dort erhielt ich
schon mal eine Tasse Milch oder auch ein
Butterbrot, während Vater seine
Tauschgeschäfte abwickelte. Am besten
ging unser Geschäft, wenn in dem
jeweiligen Ort das Kirchweihfest
bevorstand. Dann lockte man uns auch
schon mal von der Straße ins Haus, da
man zum Kirmeskuchen ja Backpulver
benötigte. Und Vater war als
Backpulvermann überall
bekannt.
Kritisch waren die Eifeler Bauern,
wenn man gegen Wein einen Tausch machen
wollte. Der sogenannte Heringswein war
nicht immer von guter Qualität. Das war
allgemein bekannt. Viele Bauern hatten
schon schlechte Erfahrungen gemacht. So
musste Vater schon mal vorab eine
Kostprobe geben.
In aller Regel hatten wir dann am
Abend den Rucksack voll mit wertvollen
kaloriehaltigen Nahrungsmitteln und
radelten, fast wie im Sturzflug, bergab
wieder ins Moseltal, was mir immer
großen Spaß brachte. Oft sangen wir
auch bei dieser Schussfahrt.
Nun musste noch der Fährmann parat
stehen für die Überfahrt nach Neef, was
jedoch nicht immer sofort funktionierte.
Oft mussten wir lange und laut hol
über rufen, bis er endlich kam.
Nicht selten saß er mit seinen Kumpanen
in der Fährbude beim Kartenspiel oder
bei intensiven Männergesprächen fest
und machte seinen Dienst mit großem
Unbehagen. Wenn Vater ihn allerdings vom
Gehamsterten etwas abgab, war er umgehend
zufriedengestellt und erschien nun doch
gut gelaunt wieder bei seinen
Sinnesgenossen in die Fährbude.
Zu Hause empfing uns die Familie mit
großem Wohlbehagen, und Vater verteilte
gerne vom Mitgebrachten eine kleine
Probe.
Einmal hatten wir großes Glück bei
der Hamsterei. Wir konnten ein
mittelgroßes Schwein erwerben
einen sogenannten Läufer. Nun konnten
wir diesen natürlich nicht mit der
Fahrrad nach Hause bringen. Das tat Vater
später mit einem Leiterwägelchen. Damit
wir das Schwein ganz für uns behalten
konnten, und nichts davon den Franzosen
abgeben mussten, wurde es sofort
schwarz geschlachtet. Eine
ganze Nacht lang machten wir dann auf dem
Speicher bei verdunkelten Fenstern Wurst,
legten Pökelfleisch ein, und Schinken
kam in das Rauchhäuschen.
Der misslungene kulturelle Beitrag
zweier Lausbuben in der Zeit nach dem
Krieg
Nach den schlimmen und
entbehrungsreichen Kriegsjahren dürstete
das Volk förmlich nach anspruchsvoller
Unterhaltung und Kultur. So wurde auch in
unserem Dorf Theater gespielt, woran sich
jedoch hauptsächlich die Erwachsenen
laben durften. Auch gab es ab und zu
Filmvorführungen allerdings auch
wiederum nur für die Grossen.
Mein Freund Erich und ich, wir waren 8
Jahre alt, sahen es in dieser Situation
als einen Wink des Schicksals, auf dem
Speicher von Erichs Onkel, den auch ich
Onkel Heinrich nannte, einen
Film-Projektor vorzufinden. Zu dem
Projektor gehörten zwei runde
Glasscheiben, auf denen sich am Rande
jeweils 12 Bilder befanden. Heute würde
man dazu Dia-Positive sagen. Die
Glasscheiben wurde in den Projektor
eingelegt und ließen sich drehen.
Zündete man dann eine im Apparat
befindliche Petroleum-Lampe an, wurde an
der Wand das entsprechende Bild
ersichtlich.
Die Qualität des ausgeworfenen Bildes
richtete sich nach der Feuerflamme. So
konnte das wiedergegebene Bild flackern
oder auch durch Rauch eine bestimmte Note
erhalten. Auch wurde das wiedergegebene
Bild durch den Russ der Flamme schnell
dunkler, was einen zusätzlichen
gespenstigen Eindruck bewirkte.
Wir beschlossen, diese Bilder
vorzuführen. Als Themen konnten wir
Christus fährt in den Himmel
auf und Bei den Wilden in
Afrika anbieten.
Onkel Heinrich war Gastwirt und hatte
neben einem großen Tanzsaal auch einen
kleineren Raum für sonstige kleinere
Veranstaltungen. Letztere Lokalität
schien uns für eine Vorführung
geeignet. Onkel Heinrich grienste bei
seiner Zustimmung, was wir aber nicht zu
deuten wussten. Vermutlich stellte er
unsere Handlungsfähigkeit zu einem
solchen Unterfangen in Frage.
Bei den Kindern machten wir nun
Reklame für die Veranstaltung. Die
Resonanz lag, entsprechend dem Trend der
Zeit, über unserer Erwartung. Es kamen
nicht nur Kinder unseres Alters, sondern
auch sogenannte Kleinkinder, die von
ihren Eltern liebevoll unserer Obhut
anvertraut wurden. Der Eintritt kostete
einen Groschen.
Brav sass man in Reihen mit dem Blick
zur weißen Kalkwand hin gerichtet. Der
Raum wurde verdunkelt. Die Vorführung
begann.
Christus Himmelfahrt
erweckte Eindruck, zumal die Filmleitung
noch einige sachliche und persönliche
Erklärungen hinzu geben konnte. Aber,
Bei den Wilden in Afrika, als
ein furchterregender Wilder
mit starren Augen und einen Ring durch
die Nase gesteckt an der Wand erschien
und diese Wiedergabe auch noch von der
schon etwas geschwärzten Linse und der
flackernden Petroleumflamme
beeinträchtigt wurde, brach das absolute
Chaos aus. Besonders die Kleinkinder
spielten verrückt. Sie schrieen vor
Angst und wollten zur Mutti. Die
Veranstaltung geriet aus den Fugen. Kein
Kind saß mehr auf seinem Platz. Stühle
kippten um, und der Projektor wackelte,
was das Bild an der Wand wiederum noch
eindrucksvoller werden ließ. Auch die
schon etwas betagteren Kinder verloren
die Fassung. Noch mehr Gebrülle!
Schnell schoben wir die
Fenstervorhänge beiseite. Das gesamte
Publikum stürzte aus dem Vorführraum.
Erich und ich standen da wie zwei
begossenen Pudel. Die Veranstaltung war
misslungen, zumal später auch noch die
Mütter der Kinder zu uns kamen und
wollten das Eintrittsgeld zurückhaben,
was wir aus Toleranz auch taten.
Wir hatten danach nie wieder eine
Filmvorführung.
Buchecker suchen war nicht mein Fall
In den ersten Jahren nach dem zweiten
Weltkrieg hatten wir wirklich eine arme
Zeit. Wir waren eine recht große
Familie. Neun Mäuler habe ich zu
stopfen! So drückte sich mein
Vater immer aus. Dabei, das musste man
objektiv so sehen, hatte auch jeder
andere in der Familie seinen Beitrag zum
Selbsterhalt zu leisten so auch
ich, das sogenannte
Nesthäkchen der Sippe. Ich
musste z. B. mit meinen Schwestern in den
Wald gehen und Buchecker suchen. Vater
war sehr streng, andererseits aber auch
gerecht. Wir Kinder hatten in seinem
Sinne zu parieren. Wer dies tat, wurde
gelobt auch schon mal belohnt. Wer es
nicht tat, hatte nicht unbedingt seine
Gunst.
Buchecker brauchten wir, um daraus
beim Müller in Springiersbach Öl mahlen
zu lassen, oder auch Bucheckerwürste
anzufertigen. Dann wurden die Kerne
zerquetscht, und dieser Prampes wurde so
gewürzt, als wolle man aus dem Fleisch
vom Schwein Wurst machen. Fertig war die
Bucheckerwurst, die aber außer meinem
Vater kaum jemanden schmeckte. Vielleicht
tat er auch nur so?! Er hatte ja
schließlich neun Mäuler zu
stopfen, und eine Bucheckerwurst
war seiner Meinung nach gesund - hatte
also zu schmecken.
Bucheckersammeln war stinklangweilig.
Im Wald versammelten sich zum Suchen
immer ganze Cliquen. Hauptsächlich waren
es Frauen und Mädchen, die über den
Waldboden krochen und suchten.
Bucheckersuchen war eigentlich keine
Männersache. Ich suchte nie lange. Das
war mir einfach zu blöde und langweilig.
So entfernte ich mich nach und nach von
meinen Schwestern und tat so, als würde
ich woanders bessere Fundstellen haben.
Bald war ich dann bei anderen Buben, die
offenbar zum Sammeln nicht so streng von
ihrem Vater angewiesen wurden wie ich.
Sie verlockten mich immer, doch mit
Räuber und Gendarm zu
spielen, was ich auch gerne tat. Dies
machte Spaß und war viel kurzweiliger.
Wir zogen durch den Wald, versteckten
uns, watschten durch den Bach, kletterten
auf Bäume und rauften uns mit der
gegnerischen Truppe.
Entsprechend schlecht war dann am
Abend meine Ernte. Meinem Vater konnte
ich keinen Erfolg vorweisen, was er
entsprechend in Ton und Gestik
auszudrücken wusste. Dagegen wurden
meine Schwestern wegen ihres Fleißes oft
gelobt und erhielten auch Belohnungen.
In unserem Kolonialwarenladen war
abends viel Betrieb. Mein Vater war dann
gemeinsam mit meiner Mutter voll und ganz
beschäftigt. Im Laden wurde zudem viel
getratscht, gelacht und krakelt. Unser
Geschäft war sozusagen das
Kommunikationszentrum des Ortes. So
merkte man nicht, wenn ich aus dem Wald
kam, im Hausflur meine Nagelschuhe auszog
und mich die Treppe hoch auf den Speicher
schlich. Dort lagen Buckecker in Hülle
und Fülle auf einem Haufen zum trocknen
ausgelegt. Ich füllte meinen Beutel
üppig mit Eckern, ging leise runter, zog
meine Schuhe wieder an und trat mit
meiner Ernte in den Laden.
Dort fand ich von allen Seiten große
Bewunderung. Mein Vater belohnte meinen
Fleiß umgehend und griff recht
großzügig in die Ladenkasse. Beim
Herausgehen von zwei Frauen aus dem
Geschäft konnte ich noch hören, wie
beispielhaft ich sei und wie faul ihre
Päns wären, die rein gar nichts nach
Hause brächten und lieber im Wald
herumtollten. Ganz wohl war mir beim
Zuhören nicht.
Diese Methode war jedoch aus meiner
Sicht perfekt und wurde zur Gewohnheit.
Ich machte den Beutel nicht immer ganz
voll, sondern auch schon mal dreiviertel-
oder auch nur halbvoll, wie dies ja auch
bei den richtigen Sammlern draußen auch
so vorkam. Meine Schwestern hatten nun
wesentlich geringere Ernte als ich,
worüber sie ziemlich neidisch waren,
zumal Vaters Belohnungen bei ihnen
dürftiger ausfielen. Was solls?
Mir ging es gut und ging nun voller Lust
mit Buchecker suchen.
Vermutlich lag es am Neid meiner
Schwestern oder an den Müttern meiner
Waldkumpels, die meinem Vater
anrieten, mich doch abends einmal zu
beobachten. So kam ich eines Abends mit
meiner Ernte vom Speicher
herunter und wurde vom Vater in bösester
Art empfangen, übers Knie gelegt und
recht hektisch verdroschen. Seinen
größten Ärger hatte er darüber, dass
ich nicht nur faul war, sondern auch noch
Geld für meine Faulheit einsteckte.
Aber, was hätte ich anders tun sollen?
Wenn es dunkel wurde, brannten wir Kinder
Schwefel
Es gab noch keine Kanalisation
Hühner rannten auf der Straße herum und
pickten die Reste, die aus dem Spülstein
auf die Straße flossen Straßen
waren zum Teil noch nicht gepflastert
überall standen Pfützen.
Ende der 40er Jahre, saß meine
Familie abends in der Küche um den
wärmenden Herd herum zusammen. In der
Regel war ja nur ein Raum im Haus
geheizt, um Brennholz zu sparen. Da auch
Petroleum knapp und teuer war, brannte
zumeist auch nur eine Öllampe. Dies
allein schon verschaffte eine recht
gemütliche und behagliche Stimmung. Es
wurde erzählt und auch schon mal ein
Nickerchen gemacht. Mein Vater rauchte
immer zum Feierabend seinen Stumpen.
Großmutter strickte und die Mutter
stopfte die zerrissenen Strümpfe von uns
Kindern. So ging es eigentlich in jeder
Familie zu.
Allerdings war das Tagewerk für uns
Buben dann nicht immer beendet. Wir
machten gerne Streiche. Und verschiedene
konnten wir am besten in der Dunkelheit
machen. Jedoch durften wir, wenn am Abend
schon die Betglocke geläutet hatte,
nicht mehr vor die Türe. Um trotzdem
noch aus dem Haus zu kommen, fand ich
Ausreden. Überzeugend war immer, wenn
ich angab, dass ich mit meinen Freund
noch wegen nicht gelöster Schulaufgaben
sprechen muss und ich aufpassen würde,
dass mich auf der Gasse keiner sieht.
Unser Lehrer oder Pfarrer machten immer
wieder Kontrollgänge. Und wehe dem, der
erwischt wurde! Es gab noch keine
Straßenlaternen. So fand man recht
schnell einen sicheren Schlupfwinkel,
wenn Gefahr drohte. Dies war auch für
meine Eltern ein überzeugendes Argument.
Pass aber bitte auf und komme nicht
zu spät nach Hause und raus ging
es in die Dunkelheit.
Ein beliebter Streich war das
Schwefelbrennen. Eine
tagsüber abgesprochene Horde traf sich
an einer bestimmten Stelle. Es gab im Ort
noch keine Kanalisation. Das Putz- und
Spülwasser vom Haushalt floss direkt vom
Spülbecken durch ein Rohr auf die
Strasse und von dort aus über Rinnen in
die Mosel. Jeder Winzer benötigte
Schwefelspäne. Solche wurden angezündet
und in ein leeres Weinfass gesteckt. Die
Dämpfe waren dann so ätzend, dass nach
einer solchen Prozedur das Fass absolut
keimfrei war. An Schwefelspäne war
einfach heranzukommen. Sie lagen offen
irgendwo in jedem Weinkeller.
So steckten wir in das auf der Strasse
endende Abflussrohr einen brennenden
Schwefelspan und stopften das Rohr mit
einem nassen Lappen zu. Der beißende
Rauch zog in die Küche. Bis er im
Dämmerlicht bemerkt wurde, hatte er sich
schon überall hin verteilt. Und nun
entstand das absolute Chaos. Aus war es
mit der häuslichen Gemütlichkeit! Wie
angesengte Wespen stürze die ganze
Familie auf die Strasse. Die Kinder
kreischten und rieben sich die Augen. Die
Älteren wollte die Sau-Päns
und Mist-Kerle kurzerhand
umbringen. Doch die saßen in irgendeinem
sicheren Versteck in der Nähe des
Tatortes und beobachteten das Spektakel
mit großem Interesse. War doch der
Streich wieder einmal gelungen! Wenn dann
die Luft wieder rein war, kehrte man an
den heimischen Herd zurück und hatte mit
dem Freund die Schulaufgaben ausreichend
besprochen und endlich gelöst.
Jugend forscht(e) auch
schon 1946
Es war im Jahr 1946. Eigentlich sollte
ich schon im Jahr zuvor in die Schule
gegangen sein. Aber unser Schulhaus in
Neef a. d. Mosel war so vom Krieg
demoliert, dass zum pünktlichen
Zeitpunkt ein geregelter Schulbetrieb
nicht möglich war.
Im Winter mussten wir Brennholz in die
Schule mitbringen, damit der große
Kanonenofen angefeuert werden konnte.
Wenn es nämlich zu kalt im Schulsaal war
und wir kalte Füße hatten, trampelten
wir andauernd auf den Holzboden, um die
Füße warm zu machen. Das war sehr
störend für den Unterricht, aber auch
lustig für uns Kinder. Hatten wir keine
Lust zum lernen, dann steckten wir
heimlich in den Ofen nasses Gras, und der
Raum war im Nu voller Qualm. Dann
husteten wir wie verrückt, rieben uns
die Augen und liefen einfach hinaus auf
den Schulhof, während Fräulein John,
unserer Lehrerin, die Fenster aufriss und
lüftete. Das brachte zwar frische Luft
in den Saal, aber es wurde auch wieder
kalt.
Fräulein John trug lange Röcke, war
gertenschlank und ziemlich groß. Auf der
Nase trug sie eine randlose Nickelbrille
- schaute aber mehr über die Gläser
hinweg, als dadurch. Ihre Haare waren
streng angelegt und hinten zu einem Dutt
geknotet. Sie war oft schlecht gelaunt
und dann richtig giftig, weil wir
angeblich böse, faul, frech, dumm und
viel zu laut waren. Wegen ihrer Art
nannten wir sie Kreuzspinne,
was sie sehr ungern hörte. Eigentlich
hatten wir ein recht gestörtes
Verhältnis zu unserer Lehrperson. Es gab
viel Prügel.
Mit einer Crash-Methode, schließlich
wollte sie das verlorene Schuljahr
aufholen, brachte sie uns das ABC bei.
Dabei wandte sie viel Mimik an. Bei der
Einführung des Buchstaben o
z. B. zog sie so eine Grimasse, dass man
ihn tatsächlich an der Schnüss deutlich
erkennen konnte. Bei dem w
spreizte sie beide Hände an den Ohren,
und tatsächlich sah dies wie dieser
Buchstabe aus. Um diese Erkenntnis noch
zu untermauern gab sie an, dass durch die
Fensterläden der Wind fegte, was ein
langgezogenes wwwww...
verlauten ließ. Beim e zog
sie an dem Ohr eines Kindes, was mit
dieser Lernmethode Schwierigkeiten hatte
und rief: du Eeeesel. So ward
das e geboren. Das
langgezogene Ohr sah dann wie ein
e aus. Beim Buchstaben
x mußte sie auf die Tierwelt
zurückgreifen. Sie bezog sich auf einen
Tintenfisch, der mit seinen Fangarmen so
ähnlich aussehen sollte. Einen solchen
Fisch hatten wir in der Mosel noch nie
gefangen und kannten ihn nicht. Somit
beschäftigte uns dieser Tintenfisch als
solcher nach dem Unterricht mehr als das
beigebrachte x.
Meine Eltern hatte einen
Gemischtwarenladen. Dort trafen sich
stets Leute, und es wurde immer viel
erzählt und berichtet. Vater, Mutter,
Großmutter, die älteren Geschwister und
auch meine Tante, alle die im Laden
verkauften, wussten viel aber auch
ich, da besonders am Abend, wenn wir um
den Ofen in der Stube saßen, immer
wieder gehörtes und erzähltes
aufgefrischt wurde, wobei ich aufmerksam
die Ohren spitzte.
Folglich wurde ich von meinen
Kommilitonen befragt, was denn dieses
X-Tier für eine Kreatur sei.
Die direkte Antwort konnte ich nicht
geben, aber: Ich zeige es
euch! Es gab ja schließlich Fische
einerseits und herkömmliche Tinte
andererseits. Dies zusammengefügt musste
ja, rein logisch gesehen, Tintenfische
ergeben. Diese Erkenntnis sollte nun
praktisch umgesetzt werden.
Auch Kaulquappen waren aus meiner
Sicht Fische. Und wo solche waren wusste
ich auch. So bildete sich eine
wissenschaftliche Gruppe, bestehend aus
Mädchen und Jungen. Ich leitete die
Exkursion, die zu einer fast leeren
Zisterne am Bahndamm führte. In dieser
waren neben Salamandern und Fröschen
auch viele Kaulquappen. Wir nannten diese
Zisterne Fröschegrube. Mutig
und zur besonderen Verwunderung der
bezopften Damen stieg ich in die Grube
und steckte eine größere Menge
Kaulquappen in ein mitgebrachtes
Einweckglas. Zu Hause kamen die Tiere in
eine mit etwas Wasser gefülltes
Waschbütte. Aus dem Laden entwendete ich
eine gehörige Portion Tinte, die in
einem größeren Behälter gelagert
wurde. Wenn jemand Tinte brauchte, kam er
mit seinem leeren Gläschen in den Laden
und ließ es sich füllen. Ich benötigte
allerdings etwas mehr und füllte jenes
Einweckglas voll. Die Tinte schüttete in
die Bütte, und nun sollte sich das
Experiment entwickeln.
Am anderen Tag, gleich nach dem
Schulbesuch, wollten wir dann den Erfolg
sehen. Doch die Wissenschaft hat ihre
eigenen Gesetze, und sie ist offenbar
nicht immer auf Logik aufgebaut: Alle
Kaulquappen waren tot und schwammen
leblos mit ihren weißen Bäuchen auf der
Tintenlauge. Das Experiment war
missglückt. So gewannen wir lediglich
die Erkenntnis, dass Tintenfische manuell
nicht herzustellen sind.
Und meine Großmutter, sie nannte sich
Pitter-Jusep's Gritt (dem
Peter Josef seine Gretel) stand da und
schüttelte den Kopf. Sie hatte zur
Forschung kein Verhältnis und verpetzte
mich wegen der stibitzten Tinte beim
Vater. Der, auch ohne Verständnis für
kreative Kinder, gab mir zur Strafe
ab, zum Rebenraffen in den
Weinberg! auf. Das war nun das Echo
für ein naturwissenschaftliches
Experiment! Heute werden solche Projekte,
die auch nicht immer von Erfolg gekrönt
sind, sogar über Jugend
forscht gefördert und prämiert!
Es geht wieder aufwärts!
So hörte man es 1948 immer wieder.
Die Leute waren geradezu in einer
Euphorie. Man brauchte keine
Lebensmittelkarten mehr. Es gab nicht
mehr die Zuteilungen. Man konnte kaufen,
was vorhanden war. Und da gab es schon
wieder vieles. Wo nur so plötzlich alles
herkam?! Die Währungsreform hatte
offenbar dazu beigetragen. Es grenzte
schon an ein Wunder, was die neue
Deutsche Mark alles fertig brachte.
Auch Vaters Weingeschäft lief
prächtig. Die Nachfrage nach Wein war
groß. Die ganze Familie war oft noch
spät am Abend im Keller beschäftigt,
wenn ein Großauftrag kam und Flaschen
gespült, abgefüllt und etikettiert
werden mussten. Am anderen Tag kam dann
die Kuh an den Karren, und die Weinkisten
wurden zum Neefer Güterbahnhof
transportiert. Ja, den gab es damals
mit Rampe, Kran und einer recht
großen Halle.
So kam denn Vater auch einmal voll gut
gelaunt von einer Geschäftsreise
zurück. Schecks und einen ganzen Bündel
der neuen DM-Scheine brachte er mit. Auch
von neuen Bestellungen konnte er
berichten. In dieser Euphorie hatte er
wohl auch an seine Familie gedacht und
brachte für uns alle eine Kurpackung
bade dich gesund mit. Das
Päckchen stammte zwar offensichtlich
noch aus der Vorkriegszeit, da es stark
lädiert und der Inhalt zerklumpt war.
Die Gebrauchsanweisung war aber noch
deutlich zu lesen, und die besagte, dass
der Inhalt für drei Bäder reichte. Da
unser Haushalt jedoch neun Personen
zählte, legte Vater fest, dass am
kommenden Samstag (samstags war immer
Badetag) gesundgebadet wurde und dass in
einer Badewannenfüllung jeweils drei
Personen badeten.
Gemäß meinem Stellenwert in der
Familie (ich war das jüngste Mitglied)
kam ich somit bei der letzten Füllung
als Letzter, also als neunter, dran. Die
Badewanne sah längst nicht mehr so aus,
wie sie mein Vater, der natürlich als
erster badete, vorfand. Aber was soll es?
Ich wollte schließlich auch gesund
werden.
Wir saßen denn bald am Abend-Tisch,
gut durchblutet, bestens gelaunt und
gesund wie noch nie. Dem Vater gegenüber
waren wir dankbar, dass er so an seine
Familie gedacht hat und stellten zudem
fest: Ja, es geht wirklich wieder
aufwärts!
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