Aufbruch
und EuphorieEin Sturm der
Entrüstung durchfuhr die ganze Welt bei
der Nachricht von der Ermordung des
österreichischen Erzherzoges Ferdinand
und seiner Gemahlin am 28. Juni 1918. Das
darf nicht ungesühnt bleiben, das war
die Meinung des gewöhnlichen Mannes aus
dem Volke. Allenthalben ahnte man aber
auch, dass damit ein Weltkrieg in
gefährliche Nähe gerückt war. Und als
Serbien alle Genugtuung verweigerte, da
war es zur Gewissheit geworden: Der
Weltkrieg ist unvermeidbar, denn hinter
Serbien stand Russland mit England und
Frankreich, und Deutschland wollte
unbedingtseinem Bundesgenossen
Österreich die Treue halten.
Mit großer Sorge verfolgten die Menschen
die politische Entwicklung. Da läuteten
am 1. August 1914 um 18 Uhr auch in Neef
die Glocken. Der Ortsdiener raste mit
seiner Schelle durch Neef und verkündete
mit zitternder aber lautstarker Stimme:
Die Mobilmachung ist
befohlen! Schrecken und Bangen
verbreitete sich. Aber es gab auch
begeisterte Zustimmung für einen Krieg.
Besonders die jungen Leute sahen einen
solchen, speziell mit dem Erzfeind
Frankreich, als eine Lappalie an. So hoch
stuften sie die Wehrkraft Deutschlands
ein, und für so schwach hielten sie die
Armee der Franzosen.
|
Ausflug
nach Paris,
Auf in den Kampf mir
juckt die Säbelspitze,
Auf Wiedersehen auf dem
Boulevard |
Schon das kommende Weihnachtsfest
wollte man wieder zu Hause im trauten
Familienkreis feiern.Vielerorts, so auch
in Neef, gingen die einberufenen
Soldaten, bevor sie von ihrer Heimat
Abschied nahmen, gemeinsam zur heiligen
Messe, um sich mit den heiligen
Sakramenten für die bevorstehende
schwere Zeit zu stärken. Am Bahnsteig
gab es dann herzzerreißende
Abschiedsszenen. Noch einmal ein letztes
Händeschütteln, Umarmung, Tränen und
dann fort von der Familie, von der Braut,
der Freundin, von Freunden und Bekannten
mit Gott für Kaiser und
Reich!
Gleich zu Anfang des Krieges wurden
Lehrpersonen dazu angehalten, in einem
Tagebuch die laufende Entwicklung des
Krieges festzuhalten. Es sollte nicht
versäumt werden, einen ruhmreichen
Feldzug in Einzelheiten zu erfassen,
damit er der Nachwelt in steter
Erinnerung bleibt. Dies übernahmen oft
weibliche Lehrpersonen, da ihre
männlichen Kollegen an der Front
benötigt wurden. Aus der Überlieferung
der Neefer Lehrerin Antonie Koch ist ihre
patriotische Einstellung zu dem Krieg
deutlich erkennbar womit sie ja
nicht alleine stand. Sie war mit 24
Jahren eine recht junge Lehrerin:
Gehts los? Gibts Krieg?
Das war die lange tägliche, stets
wiederkehrende Frage, als im Endviertel
des schwülen Julimonates 1914 der
politische Horizont sich immer mehr
verfinsterte, denn viele Anzeichen
deuteten sie auf kommende große
Ereignisse, auf eine baldige Antwort auf
die Frage. Bereits 8 Tage vor
Kriegsausbruch wurden die Wachen an
Tunnels und Brücken verdoppelt, ein
Zeichen, dass die Lage sehr ernst war.
Am 30. Juli 1914 trafen in Coblenz viele
Soldaten zur Bahnbewachung ein. Diese
blieben jedoch nur einige Tage. Der
Bahnverkehr war in dieser Zeit besonders
nachts sehr rege.
Am 31. Juli wurde der Belagerungszustand
verhängt. An diesem Abend mussten schon
zwei Mann von Neef dem Ruf ihres obersten
Kriegsherrn folgen und zu den Fahnen
eilen. Es waren Carl Joseph Kreuter, Sohn
von Nicolaus und Karl Kreuter. Die ganze
Gemeinde begleitete die jungen Leute zum
Bahnhof. Als der Zug kam, wurde das Lied
gesungen:
Es braust ein Ruf wie Donnerhall
Wie Schwertgeklirr und Wogenprall:
Zum Rhein, zum Rhein, zum deutschen
Rhein,
Wer will des Stromes Hüter sein?
Lieb Vaterland, magst ruhig sein,
Fest steht und treu die Wacht am Rhein!
Darauf zogen Alt und Jung durch den Ort
unter Absingen des Liedes:
O Deutschland hoch in Ehren,
Du heilges Land der Treu,
Stets leuchte deines Ruhmes Glanz
In Ost und West aufs neu!
Du stehst wie deine Berge fest
Gen Feindes Macht und Trug,
Und wie des Adlers Flug vom Nest
geht deines Geistes Flug.
Lange noch standen die Leute in Gruppen
auf den Straßen und unterhielten sich
über kommende Ereignisse.
Die folgenden Tage verbrachten alle in
gespannter Erwartung. Einige ganz kluge
ängstliche Leute fingen an, Vorräte
einzuhamstern. So besonders Salz; Sie
versuchten ihr Papiergeld gegen Metall,
besonders Goldgeld, umzutauschen. Gegen 6
Uhr am 1. August kam die
Mobilmachungsorder. Sie löste bei den
Männern eine frische, mutige
Begeisterung, bei vielen Frauen Tränen
aus. Galt es doch bei vielen sich vom
Gatten, vom Verlobten, vom Bruder zu
trennen, vielleicht für immer. Sofort
wurden von der Gemeindebehörde an den
Straßenkreuzungen und belebten
Verkehrsstellen Sperren errichtet, Wachen
hingestellt. Zu Dutzenden melden sich die
Männer des Dorfes. In ihren
Alltagskleidern mit einem Gewehr
bewaffnet tun sie ihre Pflicht. Überall
wittert man Spionagegefahr. Darum strenge
Kontrolle, Automobile rasen, Fahrräder
sausen. Anhalten - Einblick in den
Ausweispass und der gleichen -
Weiterfahrt. Patrouillen mit umgehängten
Gewehren halten Verbindung. Ernst ihr
Gesicht, ganz erfüllt von der schweren
Verantwortung, die auf jedem lastet, -
das ist das ständige Bild. Nachts wurden
im Bahnhofvorraum die Kriegsfahrpläne
angeschlagen. In derselben Nacht wurde
durch den Ortsdiener das
Landsturmaufgebot bekannt gemacht. Nun
Aufregung - neuer Trennungsschmerz. 4
Mann, darunter Lehrer Görg, mussten
morgens früh zur Fahne eilen.
Früh am 2. August begannen die
Militärtransporte, meistens Artillerie.
Dazwischen fuhren die fahrplanmäßigen
Züge. Die vorüberfahrenden Soldaten
wurden von den Einwohnern hier und an
allen Orten der Mosel mit großer
Begeisterung begrüßt. Von Neef wurde
eine größere Anzahl Reservisten und
Landwehrleute einberufen. Zum Schutz der
Bahn wurden 28 Mann Landsturmleute in
Neef einquartiert. Den ganzen Tag
dauerten die Transporte an und fast die
ganze Bevölkerung hielt sich an der Bahn
auf.
Auch am 3. mussten unsere Landwehrleute
fort. Allmählich machte sich eine
allgemeine Aufregung unter den Leuten
bemerkbar. Einzelne ängstliche Gemüter
glaubten, die Franzosen kämen bald. Die
Krämer wollten kein Papiergeld mehr
annehmen. Sie wurden jedoch bald durch
eine Verordnung des Generalkommandos
eines Besseren belehrt. Die Schulen
wurden auf unbestimmte Zeit geschlossen
zur Durchführung der Erntearbeiten. Es
fuhren die letzten Personenzüge. Von da
ab verkehrten 10 Tage nur Militärzüge.
Die Truppen wurden in Bullay verpflegt.
Es meldeten sich aus Neef 18 Mädchen als
freiwillige Helfer. Sie gingen täglich
dorthin und nahmen Obst, Wein, Eier,
Zigarren etc. mit. Eine Sammlung unter
der hiesigen Bevölkerung brachte ein
reiches Ergebnis sowohl an Lebensmitteln
als auch an Leinen und Geld. Die Ernte
wurde gut eingebracht. Die
Zurückgebliebenen halfen den Familien
der eingezogenen Kämpfer das Korn machen
und heimholen.
Es setzte ein Sturm auf die
Lebensmittelläden ein. Salz und Zucker
waren die begehrtesten Artikel, sodass
sie bald ausverkauft waren.
Am 7. August kamen die ersten
Kriegsgefangenen vorbei. Es waren
Franzosen. Da man Fliegerangriffe
befürchtete, traf am 9. August eine
Maschinengewehrabteilung zur
Fliegerabwehr (2 Unteroffiziere, 17 Mann
und 2 Maschinengewehre) hier ein. Sie
wurden auf dem Petersberg aufgestellt.
Die Kapelle wurde als Wachlokal benutzt.
Am 12. August rückte die Abteilung
wieder ab. Dafür wurde die Bahnwache um
4 Mann verstärkt. Bald kamen die ersten
Züge mit Verwundeten. Auch fuhren
Verwundete moselabwärts. Die Neefer
fuhren mit Erfrischungen an die Schiffe
und teilten dort Liebesgaben aus.
Am 12. August begann der Schulunterricht
wieder: Die Lehrerin unterrichtete die 3
Klassen. Es hatte so jede Klasse zwei
Stunden jeden Tag.
|
Josef Boos wurde am
2.8. gezogen und fiel bereits am
21.8. Er war der erste Soldat aus
Neef, der an der Front gefallen
war und sollte nicht der letzte
sein. Der Heldentot
eines einzelnen Kriegers wurde
erst noch in Zeitungen mit einem
rühmlichen Nachwort
veröffentlicht. Später, als
sich die Zahlt der Gefallenen
drastisch vermehrte, unterblieben
solche Anzeigen ja, sie
wurden sogar amtlich verboten.
Das Volk sollte nicht
abgeschreckt / verängstigt
werden und weiterhin an
den Sieg glauben. |
Allmählich wurde der Personenverkehr auf
der Bahn wieder aufgenommen. Doch fuhr
anfangs nur morgens und abends je ein
Zug. Nach den ersten Siegen unserer
Truppen hob sich die Stimmung der Leute
wieder, doch gab es noch immer viele
kleingläubige Gemüter, die an einen
Sieg Deutschlands nicht glauben wollten.
Am 23. September begannen die
Herbstferien und zwar wegen der
dringenden Arbeit 5 Tage früher. Die
Weinlese war früh. Da noch Arbeitsleute
genug vorhanden waren, gingen die
Arbeiten rasch von der Hand. Die
Kriegerfrauen halfen den
Zurückgebliebenen. Nach den Herbstferien
wurde als Vertreter für Herrn Görg als
Schulamtsbewerber Herr Alfons Arenz
ernannt. Er wurde aber schon Anfang
Dezember nach Lohren versetzt. Nunmehr
übernahm Herr Lehrer Nikolai aus Bremm
den Unterricht der Knabenklasse, während
die Unterklasse der Lehrerin verblieb.
Die Knaben hatten 4-mal nachmittags
Unterricht und Mittwochmorgen. Der
Unterricht in der Mädchen- und
Unterklasse blieb unverändert. In den
Schulen wurde eifrig für die Krieger
gestrickt, warme Decken angefertigt und
Liebesgaben gesammelt.
Der Krieg hatte mittlerweile an
Heftigkeit zugenommen. Die Stahlwerke
kamen kaum nach mit der Fabrikation von
Kriegsmaterial. Auch fehlte es ihnen an
Vorräten. So wandte man sich an die
einzelnen Kirchen im Lande und forderte
sie auf, einen verzichtbaren Teil ihrer
Glocken abzugeben. Dazu schrieb der
Kirchenvorstand von Neef am 4. November
1915 an das bischöfliche Generalvikariat
Trier, dass man gerne bereit ist, eine
Glocke gegen Vergütung abzugeben; sie
boten eine Glocke an, die 135 Kilogramm
wiegt. Es zeichnete Pfarrer Manderfeld.
Nach Weihnachten brachen die Masern
unter den Kindern aus. Da fast nur Kinder
der Unterklasse krank waren, konnte der
Unterricht weitergeführt werden. Da sich
infolge ständiger Einberufung der Mangel
an Arbeitskräften recht fühlbar machte,
konnte die Gemeinde in diesem Jahre kein
Holz schlagen lassen. Nur das
notwendigste Brennholz wurde gehauen.
Infolgedessen konnten die
Gemeindeausgaben nicht wie alljährlich
aus dem Holzverkauf bestritten werden,
dadurch erwuchsen der Gemeinde Neef durch
den Krieg bedeutende Unkosten. Die
Gemeinde hatte die Kosten für
Einquartierungen von Soldaten zu tragen,
das Wachlokal zur Verfügung zu stellen
und auch für die Beheizung desselben zu
sorgen. Die Folge dieser
außerordentlichen Leistungen der
Gemeinde war, dass beschlossen wurde für
das Jahr 1915 Gemeindeumlagen
einzuführen und zwar 100%.
Ende Januar 1916 wurde das 21. Armeekorps
nach Russland transportiert. Es stand bis
dahin im Westen (Frankreich). Da fast
alle Neefer diesem angehörten, gaben die
Angehörigen Tag und Nacht Acht. Manche
Leute gingen nach Bullay und Cochem um
Pakete in den Zug zu reichen.
Erschütternde Szenen spielten sich ab,
wenn die Angehörigen ihren Lieben nur
kurz begrüßen durften oder wenn der Zug
die tapferen Streiter an der geliebten
schönen Heimat vorbei führte, kaum
zulassend den harrenden Frauen einen
Gruß zu zuwinken. Aber auch der
heftigste Heimwehschmerz musste der
eisernen Pflicht weichen. Auch das sind
Kriegsopfer, zu deren Ertragen
Willensstärke und Vaterlandsliebe
gehört.
In Neef zeichnete die Lehrerin Antonie
Koch im Protokollbuch der Ortsgemeinde
den Verlauf des Ersten Weltkrieges und
seine Auswirkungen auf die Bevölkerung
sehr anschaulich auf. Insbesondere die
lokalen Details führen uns drastisch vor
Augen, wie sehr die Menschen leiden
mussten, auch wenn sie in die
unmittelbaren Kriegshandlungen nicht
einbezogen waren. Hier nun die
Fortsetzung der Aufzeichnungen ab 1916.
Ernüchterung und Niederlage
Wegen der dringenden Arbeiten
wurden die Kinder schon am 1. März 1916
entlassen. Im Laufe des Sommers wurde die
Oberklasse 3 Wochen beurlaubt. Den Herbst
nahmen sich viele Leute einen gefangenen
Russen als Arbeitshilfe. Die Weinernte
fiel günstig aus. Man rechnete ½ bis ¾
Herbst. Die Trauben kosteten 16-15 Mark
pro Zentner. Manche Leute hatten für
ihren Russen auch im Winter
Beschäftigung. Die anderen gaben sie an
die Gemeinde ab, welche die Gefangenen
zum Holzhauen verwendete. Nach Abschluss
der Holzhauerarbeiten wurden die Russen
beim Wegebau beschäftigt und verlieh sie
dann einem Unternehmer in Bullay. Das
Russenlager befand sich im Saal beim
Gastwirt und Metzger Wilhelm Schmitz.
Um mit den Getreidevorräten zu sparen
und ein Durchhalten bis zur nächsten
Ernte zu ermöglichen, wurden hier wie
auch Allerorts Brot- und
Lebensmittelkarten eingeführt. Pro
Person standen 250 Gramm Brot für den
Tag zu. Nur schwer konnten sich die Leute
an die so notwendige zum Durchhalten
unerlässliche Steuerung fügen. Trotzdem
wurden die Lebensmittel allmählich immer
knapper, so dass die ständige
Einquartierung eine schwere Last für die
Einwohner Neefs bedeutete. Die
Gemeindekasse zahlte zu den
Verpflegungskosten keinen Zuschuss mehr,
dagegen wurden diese von der
Militärbehörde auf 1,50 Mark erhöht.
Im Laufe der Zeit kamen Neefer
Landsturmleute [nicht eingezogene
wahrfähige Männer] auf die Wache, so
dass die Last nicht mehr so groß war.
Neben dem Lebensmittelmangel machte sich
auch bald Petroleummangel bemerkbar. Eine
Folge der unterbrochenen Handelswege mit
Amerika und Russland. Da Neef weder Gas
noch elektrisches Licht hat, ist es auf
Petroleumbeleuchtung angewiesen. So war
damals in Folge des Erdölmangels die
Beleuchtung recht spärlich.
Infolgedessen gingen die Leute nun eine
Zeitlang sehr früh schlafen. Kerzen
waren zu teuer, und leuchteten auch sehr
schlecht. Die Beleuchtungsverhältnisse
zu bessern wurden Karbid- und
Spirituslampen eingeführt. Mit ersteren
wussten die Leute anfangs nicht recht
umzugehen, so dass öfters Explosionen
erfolgten. Nach und nach gewöhnte man
sich jedoch auch an diese Art der
Beleuchtung. Aber dennoch bedeutete sie
keinen Ersatz für eine Petroleumlampe
mit ihrem trauten Schein. Wenn in den
Läden Petroleum alle Monate einmal zu
kaufen war, standen die Leute Schlange.
Jedoch nicht immer brachte das Anstehen
den gewünschten Erfolg. Allzu schnell
war die begehrte Ware vergriffen.
Eine große Überraschung für die Winzer
bildete das unvermutete Steigen der
Weinpreise. Während im Dezember 1915 und
Anfang Januar 1916 400-450 Mark für das
Fuder gezahlt wurden, stieg Mitte Januar,
als die Bierfabrikation herabgesetzt
wurde, der Preis des Weins um ganze 100
Mark. Ja man konnte jede 14 Tage eine
Steigung des Preises um etwa 100 Mark
feststellen. Die große Nachfrage brachte
den Preis auf 1200 Mark dann 1500 Mark
bis schließlich über 2000 Mark. Ein
noch nie dagewesener Preis! Der Wein
wurde von der Militärbehörde aufgekauft
zum Zwecke der Alkoholgewinnung für die
Wundbehandlung. Der Wein wurde nach
Bullay gefahren und dort in Tanks
ausgeleert. Durch die Verschiedenheit der
Weinpreise entstanden vielfach
Keilereien. Diejenigen, die zuerst, also
billiger verkauft hatten, gönnten den
andern den Vorteil nicht, und man erging
sich in kleinlichen Streitigkeiten.
Im Februar kehrte Herr Lehrer Görg, der
inzwischen kriegsunfähig war, zurück,
und nun wurde der Unterricht in der
früheren Ordnung angefangen. Zur
besseren Durchführung des dreiklassigen
Schulsystems mit zwei Lehrkräften wurde
an der hiesigen Schule vom 10. Mai 1916
Halbtagsunterricht eingeführt.
Im Frühjahr wurden die Kartoffeln
beschlagnahmt. Viele Leute hatten ihren
Bestand höher eingeschätzt als er in
Wirklichkeit war. Als sie nun nachher
abliefern sollten, stellte sich heraus,
dass manchen noch der Bedarf für den
eigenen Haushalt fehlte.
Es konnte auch kein Korn abgeliefert
werden, da das selbstgezogene Getreide
für den eigenen Bedarf nicht ausreichte.
Mit dem 1. April 1916 legte der bisherige
Gemeindevorsteher Zimmer sein Amt nieder.
Er war den Anforderungen, die der Krieg
an das Amt stellte, nicht mehr gewachsen.
Es hielt schwer einen Nachfolger zu
finden. Die älteren Leute, denen man das
Amt anbot, lehnten es ab, wegen der
vielen Arbeit. Schließlich wählte man
den Winzer Franz Kreuter. Dieser war
kriegsunfähig entlassen und nahm das
Ehrenamt an.
Im Laufe des Winters schlachteten viele
Winzer, wie sie es gewohnt waren, ihre
Kühe. Das Vieh war aber inzwischen so
teuer geworden, dass mancher sich keine
Ersatzkuh anschaffen konnte.
Infolgedessen herrschte bald Knappheit an
Butter und Milch. Sonst kamen immer
Bauern vom Hunsrück und aus der Eifel,
die Butter und Eier brachten. Diese
blieben nun aus oder verkauften nur zu
ganz hohen Preisen. Um wenigstens etwas
Butter zu erhalten, gingen viele selbst
auf die Höhen um sich über Land Butter
und Eier holen. Gar bald hatte man für
derartiges oft unsinniges Zusammentragen
von Lebensmitteln das treffende Wort
hamstern erdacht. Ganze
Trupps gingen so nach Beuren, Urschmitt
und Klidding. Der Höchstpreis der Butter
betrug zuerst 180 Mark, später 410 Mark.
Jedoch wurde fast immer die Ware mit Wein
bezahlt.
Im Allgemeinen hat die Bevölkerung noch
nicht viel unter dem Kriege gelitten.
Wenn auch einzelne Kolonialwaren knapp
geworden sind, so können sich die Leute
dadurch mit andern Sachen helfen und
Ersatz schaffen. So wurde zu Nikolaustag
und zu Weihnachten noch fast in den
meisten Häusern gebacken.
Dass noch ein gediegener Wohlstand unter
Neefs Bürgern herrscht, zeigen uns die
Ergebnisse der Zeichnungen von
Kriegsanleihen bei der hiesigen Spar- und
Darlehenskasse. Allein dort wurden für
282.800 Mark Kriegsanleihen gezeichnet.
Dazu kommen noch höhere Summen, die bei
andern Kassen gezeichnet wurden.
Gewiss ein schönes Ergebnis; das noch
von unserer vaterländischen Gesinnung
Zeugnis gibt. Im Laufe des Sommers nun
wurde der einzige Metzger von Neef
eingezogen. Nunmehr müssen sich die
Leute ihr Fleisch aus Bullay oder Alf
oder Aldegund holen gehen. Das ist sehr
zeitraubend, und wer nicht ganz früh da
ist, bekommt meistens nichts.
Am bittersten machte sich der Fett- und
Öl- Mangel bemerkbar. Durch trübe
Erfahrungen im Vorjahr belehrt, hatten
sich manche Leute Raps oder Kohl gezogen.
Es waren dies nur einzelne Familien.
Jedoch wurde in diesem Herbste mehr Raps
eingesät.
Im Sommer 1916 machten die Wildschweine
großen Schaden. Es wurden mehrere
PolizeiWildsauen- Jagden abgehalten, die
jedoch zu keinem Ergebnis führten.
Schließlich wurde nachts regelmäßiger
Wachdienst eingeführt. Zwei Kolonnen
durchstreichten das angebaute Land auf
dem Mittel Berg und
versuchten mit Klappern und Rufen das
Wild zu verscheuchen. Die Frauen, deren
Männer im Kriege waren, brauchten nicht
zu gehen. Auch konnte sich jeder einen
Ersatzmann stellen.
Die Herbstferien begannen am 15.
September und zwar so früh, weil Herr
Görg sich am 18. September 16 wieder in
Kreuznach stellen musste. Vom 1. November
ab wurde dem in Moritzheim angestellten
Lehrer Friedrich Hermes die Vertretung
der Lehrerstelle in Neef übertragen.
Infolge des nasskalten Wetters machte die
Traubenreife nur sehr geringe
Fortschritte. Um die Beeren noch etwas in
Saft kommen zu lassen, wollte man sie
etwas länger hängen lassen. Da setzte
Ausgangs Oktober heftiger Nachtfrost ein,
so dass die meisten Trauben unter dem
Frost litten, rot wurden und teilweise
abfielen. Die geringe Quantität ergab
teilweise einen rechten
Kurius der weit hinter dem
vorzüglichen 15er zurückstand. Das
schlimmste war nun, dass der Zucker zur
Zuckerung fehlte. Erst im Januar 1917 kam
die zugeteilte Zuckermenge von etwa 120
Pfund pro Fuder. Alles dies, Erfrieren
der Trauben, späte Zuckerung, trugen
nicht zur Verbesserung des Mostes bei und
doch wurden schon bis zu 2000 Mark für
das Fuder geboten und nicht verkauft, da
man auf die Erfahrungen mit dem 15er
bauend ein weiteres Steigen des Preises
erhofft.
Um die heimischen Ölfrüchte voll
ausnutzen zu können, verfügte die
Königliche Regierung zu Coblenz, dass
die Schulen Buchecker sammeln sollten.
Sieben Mal waren die Kinder unter
Aufsicht der Lehrpersonen Bucheln raffen,
die in kleine mitgenommene Säckchen
gelesen wurden. Die hiesige Schule
sammelte 5 ½ Zentner. Für das Pfund
Bucheckern erhielten die Kinder 25
Pfennig. Es wurden aus 10 Pfund
getrockneter Bucheln 1 l Öl geschlagen.
Die gesammelten Ölfrüchte wurden an die
Fettverwertungsgenossenschaft gesandt.
Am 13. Dezember 1916 wurde die
Fortbildungsschule, die während des
Krieges infolge Lehrermangels geschlossen
war, wieder geöffnet. Schulleiter war
Lehrer Hermes. Die Schülerzahl betrug 36
Knaben im Alter von 14 bis 18 Jahren.
Unser langjähriger Seelsorger Herr
Pastor Manderfeld, der schon längere
Zeit leidend ist, wurde seit 19. Dezember
1916 so ernstlich krank, dass er keinen
Dienst mehr tun konnte. Die Verwaltung
der Pfarrei wurde dem Herrn Pastor aus
dem Kloster in Alf übertragen. Bis auf
weiteres haben wir nur sonntags hl.
Messe.
Während es noch zu Anfang des neuen
Jahres schien als sollte der Winter
wieder wie die letzten Jahre aus Regen
und Regen bestehen, setzte doch Mitte
Januar ein heftiges Sturmtreiben ein, so
dass uns hier unten an der Mosel der
lange Zeit entbehrte Genuss einer
herrlichen Schneelandschaft geboten war.
Eine plötzlich einsetzende Kälte ließ
die Schneedecke frieren und bestehen
bleiben. Bis heute, dem 10. Februar 1917,
liegt der Schnee noch. Inzwischen sank
das Thermometer immer mehr und eine
grimmige Kälte trat ein. An einzelnen
Tagen waren es 16° - 18° Minus. Die
Folge davon ist, dass sich bald mächtige
Eisschollen zeigten.
Das bis dahin bestehende Hochwasser ging
zurück und ein breiter Saumes Rand
bildete sich an beiden Ufern. Die Kinder
tummeln sich vergnügt auf dem Eise - ein
Vergnügen, das sie lange Zeit entbehren
mussten.
Ein Missstand darf nicht vergessen
werden: Ledermangel und das Zerreißen
der Schuhe. Für Leder ist kaum Ersatz zu
schaffen, da fast kein Leder mehr zu
erhalten ist. Die Sohlen bestehen aus
Lederstückchen und Lederabfällen, die
häufig zusammengeleimt sind. Ein Paar
Kinderschuhe, die über einen
Bezugsschein erhältlich sind, kosten
15-18 Mark. Schuhe für Erwachsene bis zu
30 Mark. Ein Paar Sohlen mit Klack
[Schuhnägel] 7,50 Mark.
Das Schlimmste was dieser Winter zulegte,
ist der Kohlenmangel. Viele Züge mussten
ausfallen. Die wenigen Züge, die noch
verkehren, haben oft mehrere Stunden
Verspätung. Der Güterverkehr ist auf
das geringste Maß reduziert. So können
auch nicht genug Kohlen herangefahren
werden. Um Kohlen zu sparen, heizten wir
nur einen Schulsaal, in dem nacheinander
die 3 Klassen unterrichtet werden. Für
ein Meter Holz werden bei einer
Versteigerung bis zu 21 Mark gezahlt, was
man sich nicht leisten kann. Damit nun
die noch vorhandenen Kohlen gespart
werden konnten, wurden seitens des
Landrates sämtliche Schulen des Kreises
vom 9. Februar 1917 auf 10 Tage
geschlossen.
Große innerstaatliche Unruhen hatten
Russland geschwächt. Die russische
Regierung war schließlich bereit, mit
Deutschland einen Friedensvertrag
abzuschließen, der am 3. März 1917
unterzeichnet wurde. Er sah große
territoriale Gewinne für Deutschland
vor, zu denen das Baltikum, Finnland,
Polen und die Ukraine gehörten.
Allerdings bedeutete dieser Vertrag auch
einen strategischen Nachteil. Um diese
Länder zusätzlich zu besetzen und
halten zu können, mussten sich deutsche
Truppen dorthin verlagern und das
zu einer Zeit, in der immer mehr
amerikanischen Truppen in Frankreich
landeten.
Der Minister für Geistige- und
Unterrichts- Angelegenheiten in Berlin
gab am 4. April 1917 die Mitteilung, dass
bei öffentlichen und privaten Bauwerken
Beschlagnahmen vorzunehmen waren:
Blitzschutzanlagen und die zur Bedachung
verwendeten Kupfermengen einschließlich
kupferner Dachrinnen, Abfangrohre,
Fenster- und Gesims-Abdeckungen.
Entsprechende Maßnahmen hatte auch die
Kirchengemeinde Neef zu treffen. Unter
anderem wurden auch die Glocken
konfisziert, weil man Stahl dringend für
Kriegsmaterial benötigte.
Den Wildsauen ging man tüchtig zu
Leibe. An einigen Tagen wurden auf der
nahen Hiecht [Flurname: Höhe] 8 Stück
erlegt. Davon allein zwei von Herrn
Reitlehrer Krentz. Derselbe Herr erlegte
auch im Sommer 1917 unsere Sauen. Seit 1.
Juni 1917 hat Lehrer Klein aus Aldegund
die Vertretung an der Klasse I a
übernommen, da Lehrer Hermes seine
Stelle in Moritzheim wieder
erhielt.
Die Preise für Lebensmittel stiegen
teilweise auf das Doppelte oder gar
Dreifache. Die Blockade der feindlichen
Staaten schnitt Deutschland von fast
allen seinen Zufuhrländern ab, sodass
sich mit der Zeit in allen Dingen des
täglichen Lebens ein empfindlicher
Mangel bemerkbar machte. Die Regierung
sah sich gezwungen, sämtliche
Lebensmittel und Gegenstände des
täglichen Bedarfs zu beschlagnahmen und
zu rationieren.
Auf den Kopf der Bevölkerung wurde eine
bestimmte Menge jeder Ware zugebilligt
und der Verkauf erfolgte nur gegen
Vorlage eines entsprechenden
Bezugsscheines.
Der Schuh- und Ledermangel macht
sich in so scharfer Weise fühlbar, dass
im Sommer viele Kinder barfuß gehen. Der
Gebrauch von Holzschuhen wird empfohlen.
Im Turnunterricht muss die schlechte
Beschaffenheit des Schuhzeugs
berücksichtigt werden.
Die Weinpreise sind ins Fabelhafte
gestiegen. Sie stehen im Juni bei etwa
2000 Mark das Fuder - leider nur hie und
da. Wohl dem Winzer, der noch Wein auf
Lager hat!
Noch auffallender sind die
augenblicklichen Kohlenpreise. Das
tausend Packen stellte sich auf etwa 320
Mark, so dass jetzt die Packen so viel
kosten wie vor 1 ½ Jahren für ein Fuder
Wein.
Die Schulen werden dringendst angewiesen,
Kornähren, Brennnesseln,
Weißdornfrüchte, Nüsse und Obstkerne
zu sammeln [woraus dann Speise-Öl und
Tee hergestellt wurde - zur Versorgung
des Volkes in der Heimat und auch für
die Soldaten an der Front].
Mit dem Ausgang der Weinlese sind die
Winzer sehr zufrieden. Die Weinberge
liefern nicht nur recht gute Trauben. Die
Traubenpreise stiegen bis zu 120 Mark
für den Zentner. Die 1000 Liter Most
kosteten bis zu 3200 Mark. Neuer Wein
wird verkauft gleich nach dem ersten Ab-
stich im Preise von 4000 Mark.
Infolge plötzlich eingetretenen
Tauwetters stieg die Mosel am 17. Januar
1918 ungemein rasch und so hoch, dass
alle Häuser der Moselstraße unter
Wasser standen. Der Wasserstand blieb um
nur 60 cm hinter dem von 1887 zurück.
Dem Kreis fehlt Geld. Am 21. Mai 1918
hatte er zur Versorgung der Bevölkerung
mit Brot 2700 Doppelzentner Korn
aufzubringen, was er nicht konnte. Es
finden darum bei allen
landwirtschaftlichen Betrieben Kontrollen
der Getreide-Bestände statt. Leider
stellt sich dabei heraus, dass eine ganze
Menge Getreide auf dem Wege des
Schleichhandels heimlich beiseite
geschafft worden ist.
Mit dieser Eintragung im Tagebuch enden
die Aufzeichnungen. Je aussichtsloser die
Lage an der Front wurde, umso spärlicher
wurden die Eintragungen von Lehrerin
Koch. Ihre anfängliche patriotische
Einstellung zu dem Krieg schwenkte über
zur Realität und Ernüchterung. Als sich
die alliierten Kräfte an der Westfront
immer stärker ausbreiteten, wollten sie
schließlich die Entscheidung. Mit der
Schlacht an der Sambre startete das
Britische Expeditionskorps die letzte
Offensive des Krieges. Sie begann am 4.
November 1918. Die Truppen kamen ohne
Schwierigkeiten voran. Am 10. November
kamen kanadische Truppen zur Verstärkung
hinzu. Die deutsche Front brach zusammen.
Am 11. November kapitulierte Deutschland.
40 Staaten waren am Krieg direkt oder
indirekt beteiligt. Die geschätzte Zahl
der Todesopfer schwankt zwischen 15 und
20 Millionen. Unzählige Soldaten wurden
durch die schrecklichen Kriegserlebnisse
traumatisiert. Sie wurden zu sogenannten
Kriegszitterern, zu Neurotikern oder
sogar ganz irrsinnig. Es war der
folgenschwerste Krieg, den es bisher gab.
In Neef, das damals circa 800 Einwohner
zählte, waren am Ende des Krieges 21
Soldaten an der Front gefallen. Eine
große Zahl verstarb in der Heimat an den
Spätfolgen des Fronteinsatzes oder war
durch psychische Erkrankungen ihr Leben
lang gezeichnet. Zudem wurden drei
Krieger als vermisst gemeldet. Sie fanden
ihr Grab irgendwo in Russland,
Frankreich, Belgien, Rumänien, Serbien,
in der Wüste von Afrika, in den Bergen
des Kaukasus, in den Schluchten der
Karpaten, in der Tiefe des Atlantiks,
oder sonst irgendwo.
Gefallene Neefer Soldaten und Vermisste
im Ersten Weltkrieg:
Gefallen 1914: Boos, Josef; Kockers,
Aloys; Kreuter, Josef; Kirch, Lambert
Gefallen 1915: Buschbaum, Josef; Kreuter,
Karl Gefallen 1916: Braun, Franz Gefallen
1917: Bergen, Alois; Bergen, Karl; Bremm,
Josef; Henrichs, Friedrich Müllen,
Mathias; Schilken, Peter Gefallen 1918:
Arenz, Peter; Braun, Peter; Gietzen,
Albert; Hennes, Franz; Kirch, Alois;
Kaufmann, Karl; Schinnen, Heinrich;
Gietzen, Michel Vermisst: Boos, Peter;
Zimmer, Nikolaus
Nicht der tüchtige, sondern der
glückliche Soldat kam wieder in die
Heimat. So auch der Vater des Autors.
Eine Urkunde, die jeder Heimkehrer
erhielt, enthielt folgenden Dankesspruch:
Josef Blümling war Mitkämpfer im
Ringen für des Reiches Bestand und des
deutschen Volkes Ehre und Ruhm in den
Jahren des großen Krieges 1914
1918. Er folgte seines obersten
Kriegsherrn Ruf zu den Waffen am
13.3.1915, am 28.12.1918 kehrte er aus
dem Feldzug in die Heimat zurück.
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erschienen in |
Jahrbuch des
Kreises Cochem-Zell 2015 und 2016 |
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