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Der fidele Bruder Heinrich von Franz Josef Blümling
Sitzt man in einer fröhlichen Weinrunde in irgend einem Ort an der Moselschleife um den Petersberg, dann wird er immer wieder in Erinnerung gebracht: der originelle Bruder Heinrich. Die Überlieferungen von ihm sind so spritzig wie der Moselriesling. Deshalb gehört er zur Landschaft und bleibt geradezu unsterblich. Und wenn die Zunge der Zecher gelöst und die Phantasie angeregt ist, dann wird ihm auch gerne etwas zugedichtet – ganz besonders dann, wenn für die Gäste der Mosel das vorhandene Repertoire nicht ausreicht. So erhellt Heinrich immer wieder die Gemüter. In so mancher Winzerstube ist er denn auch als Porträt verewigt und prostet verschmitzt lächelnd, mit etwas geröteten Backen, einem jeden zu, der den Moselwein auch so genießt wie er es zu seinen Lebzeiten getan hat.

Es gab ihn wirklich, den Eremiten Heinrich. In allen Überlieferungen schildert man ihn als einen sorglos lebenden Menschen, der sich seines Lebens freute, wobei der Moselwein sein Elixier war. Er lebte mit einer Ziege zusammen in einem primitiven steinernen Bau am rauen und wilden Nordhang des Hochkesselberges. Seine Figur soll stattlich und sein Körper sehr behaart gewesen sein. So nannte man ihn auch scherzhaft „Bruder Haarig“. Vermutlich war er jener Priore Henrico, der 1179 in einer Urkunde des Klosters Stuben in Erscheinung tritt. Demnach war er also bei den Nonnen Klosterpfarrer. Später, in einer anderen Urkunde anno 1190, als er schon in der Einsamkeit lebte, wird Hernrico dann als Luscus bezeichnet. Lurco wird im Lateinischen mit Woll-Lüstling übersetzt.

Fast täglich pilgerte er von seiner Klause aus zur nahen Peterskapelle auf dem Berg um dort der Messe beizuwohnen. Danach führte sein Weg stets hinunter zum Kloster Stuben. Hier wurde er gerne gesehen, und die Nonnen verwöhnten ihn mit einem kräftigen Frühstück. Dazu gab es einen guten Wein aus dem von den Klosterfrauen so genannten Frauenberg.

Abschließend gab es zur Stärkung noch eine kräftige Fleischbrühe, und dann ließ sich Heinrich vom Ferger (Fährmann) zur anderen Moselseite nach Bremm übersetzen.

Am Bremmer Gestade führte sein Weg am Fuße des Calmont vorbei. Dieser heiße Berg, mit seinen rebenbewachsenen Terrassen und mit Buchsbaum überwucherten Felsen, speichert in der brütenden Mittagshitze so viel Sonnenkraft auf, dass sogar noch in der Nacht die Trauben weiter reifen. Kamen bei Heinrich in der Hitze Durstgefühle auf, dann gesellte er sich zu einem Winzer, der in einer schattigen Wingertslaube eine Pause eingelegt hatte und gerne den Weinkrug mit dem allseits beliebten Eremiten teilte. Man hatte sich viel zu erzählen und schmunzelte über die Nonnen vom Gegenüber, die ja gar nicht so Ohne waren, diese edlen Töchter des Adels. Ja, da wäre es für die in die Jahre gekommene Meisterin Gisela wohl einfacher gewesen, einen Sack Flöhe zu hüten, als diese verwöhnten Fräuleins! Heinrich wusste, von was er sprach. Er war ja lange genug dort tätig.

Schließlich tippelte Heinrich weiter nach Eller. Stand dort ein Keller offen, dann genügte ein kräftiges „Hallo“, und der im Funsellicht fassschwenkende Winzer unterbrach sofort seine Verrichtung. Schon hatte er das Zapfschläuchelchen zur Hand und ließ den weinkundigen Eremiten die noch etwas frische und leicht moussierende Ernte aus der Ellerer Hölle probieren. Wahrlich, dieser Wein war im Ansatz gut und für die weitere Reife vielversprechend. „Im kommenden Jahr sollte er auf der Flasche sein und einer weiteren Probe unterzogen werden“ – war Heinrichs Meinung. Man lachte und Heinrich bemerkte schon etwas weinselig, dass diese Lage den Namen Hölle zu unrecht trägt. Denn, „wer diesen Wein trinkt, der wird doch eigentlich himmlisch belohnt!“

In Ediger wurden im Stubener Hof eingekehrt. Dort trank er mit dem Wirt Mathes auf das Wohl der Kreuzritter, welche nicht nur gegen die Heiden im fernen Palästina kämpften, nicht nur Reliquien und sonstige Schätze, sondern auch die Rieslingrebe aus dem Libanon hierhin brachten. Ja, der Mathes, der war ein Kenner des Weines. Wenn er einen guten Tag hatte, dann griff er aus der Nische im hintersten Eck seines Kellers eine verschmutzte altgelagerte Flasche. Einen solchen Wein konnte man vor Genuss nur schlürfen. Dank und Anerkennung konnte man dem Mathes am besten zollen, wenn man keine großen Worte verlor, sondern anerkennend nickte und ihm auf die Schulter schlug.

Doch nun kamen bei Heinrich so langsam Hungergefühle auf. So führte seine letzte Etappe nach Leimen. Leimen war ein kleiner Ort, wo damals die Ritter von Leimen sesshaft waren. Schon früh fanden dort die Halfen, die Fuhrleute der Moselschifffahrt, in der Wirtschaft Zum Nicklösje ihre Herberge. Sie waren besonders robuste Gesellen, die Sauf- und Fluchmänner, die nie nüchtern wurden. Die langten zu! Zu ihnen gesellten sich gerne Männer aus Leimen und den Nachbardörfern. Dann trank man mit den wetterfesten Kerlen um die Wette. Trat dann noch ein origineller und trinkfreudiger Eremit in die Wirtsstube ein, dann war die Runde komplett. Vom Kupferkessel auf dem Herd wurden Speckschnitten und Sauerkraut aufgetischt. Aus Zinkeimern schöpfte man den Wein. Mit Gejohle und Gebrülle wurde auf den Schiffsmann (Schiffseigener) angestoßen. Er hatte schließlich die ganze Zeche zu zahlen.

Während die Halfen längst noch nicht daran dachten, das Zechgelage zu beenden, obwohl ihre Pferde, die am gegenüberliegenden Ufer untergebracht waren und eigentlich einer Nachsicht bedurften, steckte sich Heinrich noch eine Brotkruste ein und setzte sich ab. Die Speckschnitten waren zu verdauen und ließen eine gesunde Bettschwere aufkommen.

Mit einem Kahn ruderte er auf die andere Moselseite. Eingekuschelt im Strohlager seiner Eremitage beendete schließlich Heinrich sein Tagewerk. Das Gegröle der immer noch zechenden Halfen vom Gegenüber störte ihn nicht. Im Gegenteil, es ließ ihn an die robusten, aber eigentlich doch herzlichen Gesellen erinnern und selig einschlafen. Wenn ihn nun am Morgen die unruhig gewordene Ziege weckte, die endlich gemolken werden musste, dann waren die rauen Kerle schon längst mit dem Aufzäumen der Pferde beschäftigt. Der mit Wein gefüllten Bummes, wie man den Krug nannte, wurde am Zaumzeug befestigt. Er musste für die erste Teilstrecke reichen. Und wenn dann vom Schiff der Ruf erschall „in Gottes Namen“, wenn der Halfe darauf mit einem durchdringenden Peitschenknall antwortete und die Pferde in Trapp setzte, dann begann auch für Heinrich das Tagewerk. Die frische Ziegenmilch und die Brotkruste vom gestrigen Abend waren das gegebene Frühstück. Und wenn der Himmel gutes Wetter andeutete, war Eile geboten – dann stand doch schließlich der Messebesuch in der Peterskapelle wieder an.

 
 
erschienen in:
Heimat zwischen Hunsrück und Eifel, Beilage der Rheinzeitung, Nr. 9, September 2001
 
 
 
 
"Bruder Franz Josef"
 
 
Genüssliche Rast eines Mönches in einer Weinlaube
 
 
Rudernder Mönch aus Bothos „Croneken der sassen“
 
 
Die restaurierte Bruder-Heinrich-Klause
Literaturnachweise:
  Damitz, Karl von - Die Mosel
Götz, Adam - Mittelrheinregesten Die Mosel
Hessel, Karl - Sagen und Geschichten des Mosellandes
Mathar, Ludwig - Die Mosel
Schlüter, Wolfgang - Bruder Heinrich
und Richard Maas
Bildnachweise:
  Genüssliche Rast eines Mönches in einer Weinlaube - Bothos „Croneken der sassen“
Rudernder Mönch - Stich unbekannter Herkunft
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