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Die Nachtigallen des ehemaligen Klosters Stuben von Franz Josef Blümling
Die Abtei Himmerod war durch fromme Schenkungen reich geworden. Mit den irdischen Gütern war aber weltlicher Sinn in die Mauern eingekehrt. Im kühlen Klosterkeller lagen in langen Reihen stattliche Fässer, gefüllt mit köstlichem Wein von der Mosel. In der Klosterküche ward manch leckerer Braten bereitet, und die verweichlichten Mönche ergötzten sich an Spiel und Tanz. Das hörte der hl. Bernhard. Er griff ohne Säumen zum Wanderstabe und zog durch die Eifelwälder nach Himmerod. Mit gütigen und strengen Worten hielt er den Brüdern ihre Sünden vor und ermahnte sie zu Umkehr.

Am späten Abend zog sich der Heilige in die engste der Klosterzellen zurück und streckte die müden Glieder auf das harte Lager. Es war eine liebliche Maiennacht. Mit dem geheimnisvollen Rauschen der Wälder drang süßer Blütenduft durch das geöffnete Fenster. Im nahen Klostergarten begann eine Nachtigall zu schlagen, und bald tönte der vielstimmige Chor der nächtlichen Sängerinnen ergreifend an das Ohr des Heiligen. In Wonne versunken vergaß Bernardus die schweren Sorgen, die ihn hergeführt. Wie gebannt lauschte er den lockenden Melodien und überhörte so des Vesperglöckleins mahnende Stimme. Erst als der Chorgesang der Mönche von der Klosterkirche herüberklang, erwachte er aus seinen seligen Träumen. Da wusste er, wie es gekommen war, dass die Klosterleute die himmlischen Dinge über die irdische Lust vergessen hatten. Er trat ans Fenster und beschwor die Nachtigallen, fürderhin den Sinn der Mönche nicht mehr durch ihr süßes Lied zu betören. Er segnete die gefiederten Sängerinnen und forderte sie auf, zu jenem Kloster zu fliegen, wo man mangelhaft sänge. „Lasst euch dort nieder, jubelt so eindringlich, bis man eure süßen Stimmen nachahmt und ihr zu Lehrmeistern des Gotteslobes werdet“. Wehklagend erhob sich die gefiederte Schar in die Lüfte und flog salmabwärts zur Mosel.

Noch wussten sie nicht, wo sie sich niederlassen würden.

Als sie das neugegründete Augustinerstift Stuben überflogen und dort hoch in Lüften den Choral der adeligen Nonnen vernahmen, beschlossen sie, sich hier niederzulassen, um die hörbar noch recht ungeschulten Mädchen- und Frauenstimmen in der Gesangeskunst zu unterweisen. Und siehe da, hatten die Nachtigallenlieder die Himmeroder Mönche zur Welteslust verführt, so bewirkten sie im Stubener Schwesternkonvent gerade das Gegenteil. Seitdem die kleinen grauen Vögelein aus den Erlen- und Weidenbüschen der Moselinsel ihre lieblichen Töne erschallen ließen, nahmen Klosterfrieden und Klosterzucht zu, so dass Prior Richard von Springiersbach, der das Kloster Stuben beaufsichtigte, erfreut Kurfürst Albero in Trier berichten konnte: „Die hundert adeligen Jungfrauen und Witwen im Konvent zu Stuben leben in Eintracht und Gottesfurcht und bilden eine gottwohlgefällige Klosterfamilie, die ihrem Schutzpatron, dem heiligen Nikolaus, alle Ehre macht. Wenn sie nach gewissenhafter Tagesarbeit gemeinschaftlich Vesper und Komplet singen, jubelt aus frommen Frauenkehlen hundertfaches Gotteslob“.

Ja, selbst Kaiser Maximilien war fasziniert vom klaren und hellen Gesang des Nonnenchores, als er seine Reise zum Reichstag in Trier unterbrach, um einundeinenhalben Tag im Kloster Stuben zu verweilen, wo er während einer Messe die kostbaren Reliquien verehrte. Welch hochbegabten Lehrmeister die frommen Sängerinnen wohl haben möchten?! – so waren seine Gedanken.

Als der Kaiser nachts im klösterlichen Gastzimmer vor Gedanken und Sorgen um des Reiches Wohl nicht zum Schlafe kommen konnte und sinnend sich auf dem Lager wälzte, erhob draussen im Klostergarten eine Nachtigall so ihr schmelzend Lied, dass die bestrickenden Töne sich durchs offene Fenster stahlen. Eine gefiederte Schwester antwortete in den Uferweiden und alsbald fiel eine dritte, dann eine vierte und schließlich eine ganze Schar aus dem nahen Auenwald ein. Der Kaiser lauschte hingerissen den lieblichen Tönen und spähte prüfend in die laue Sommernacht. Da gewahrte er, dass die Bäume und Hecken wie lebendig von zauberisch schlagenden Nachtigallen waren. Beglückt ließ er sich von ihnen in den Schlaf singen und erwachte am Morgen so frisch und froh, dass er beim Abschied der ehrwürdigen Meisterin des Konvents, Frau Odilia von Eltz, bewegt die Hand drückte und schelmisch meinte: „Kein Wunder, wenn der Chor so trefflich singt. Hat er doch so treffliche Lehrmeister!“

In Trier berichtete der Kaiser dem Kurfürsten Richard von Greiffenklau über sein Erlebnis in Stuben. Dieser nahm die Worte des Kaisers wohlgefällig auf. Fortan konnten die „Stubener Nachtigallen“, wie man sie nannte, öfters die Gläubigen in der Hohen Domkirche mit ihren Gesangesvorträgen begeistern.

 
 
erschienen in:
Heimat zwischen Hunsrück und Eifel, Beilage der Rheinzeitung, Nr. 8, August 2000
 
 
 
 
Der Aufforderung des hl. Bernhard folgend flogen die Nachtigallen von dannen.
 
Literaturnachweise:
  Antz, August - Rheinlands Heldensage
Floris, Ernst - Sagen und Lieder von Rhein und Mosel
Kraemer, Robert - Am Sagenborn der Heimat
Mathar, Ludwig - Die Mosel
Rooke, Octavius (der sich vermutlich auf „Life of the Moselle"-Zeichnungen des Caesarius von Heisterbach“ bezieht)
Bildnachweise:
  Verbannung der Nachtigallen - Wolf, August - Rheinlands Heldensage
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